Die Ligurische Grenzkammstraße
10.00 Uhr Abfahrt, vollgetankt selbstverständlich. Keiner ist zu spät, die ersten Motoren stellen schon eine Viertelstunde vorher sicher, dass sie heute mitspielen werden.
Unter heiterem französischem Himmel schwingen wir nordwärts und trennen uns am Fort Central von der tags zuvor kennengelernten „Einfahrrunde“. Bei klarer Sicht ist das Erlebnis in 2000 m Höhe heute noch viel intensiver, der Weitblick einfach berauschender. Unbemerkt passieren wir die Grenze nach Italien, die Alps sind zu Hause angekommen.
Doch schon nach wenigen Kilometern scheint es ein ernsthaftes Problem zu geben. Biker kommen uns resigniert entgegen: „Baustelle, die LGKS wird saniert.“ 300 Meter weiter hat der Weg der Schwerkraft nachgegeben und ist abgerutscht. Bagger und Räumfahrzeuge sind im Einsatz, um die Strecke wieder befahrbar zu machen. Kein Durchkommen. Nächste Woche ist wieder alles paletti. Nächste Woche? Eine Gruppe belgischer BMW-GSler dreht enttäuscht und furchtbar umständlich und tritt den Rückzug an. 250 Kilogramm verteilt auf je ein Motorrad…
Ein LGKS-Event ohne LGKS?
admin nähert sich mit Buschpilot den kopfschüttelnden Bauarbeitern. Der Rest des Alpenvereins wartet in gebührendem Abstand, nur keine Hektik verursachen. Mangels weitgehender italienischer Sprachkenntnisse bringt admin nur die Brocken „per favore, dieci moto italiano“ hervor und schiebt noch ein „piccolo“ hinterher, „Beta piccolo“. Als sich die Mienen der italienischen Wegausbesserer daraufhin aufhellen, kann auch die Sonne für uns nicht heller scheinen. Tatsächlich unterbrechen sie ihre Arbeit für uns, bugsieren ihre Fahrzeuge aufwendig auf dem schmalen Weg in den Graben und machen den Weg frei für zehn kleine italienische Motorräder. Das angebotene Trinkgeld wird entrüstet abgelehnt. Mit vielfachen Mille Grazie-Rufen passieren wir langsam die Engstelle, die sich nach uns sogleich wieder verschließt. So ähnlich muss sich jemand gefühlt haben, der vor tausenden Jahren einmal das Meer zur Flucht vorübergehend geteilt haben soll.
Wir haben die LGKS nur für uns! Unglaublich!
Auf steinigem, teils felsigem Pfad schlängeln wir uns auf dem Kamm der Berge an der Grenze zwischen den beiden Ländern entlang. Der einzelne Grenzübergang ist während der Fahrt nicht wahrnehmbar. Der Ausblick auf hohe und noch höhere Berge, teils schneebedeckt, teils ohne Baumbewuchs, weil höher als die Baumgrenze, ist schier unendlich. Die Sonne lacht auf 10 Motorradfahrer, die sich wie im Traum fühlen. Trocken ist es, manchmal staubig, das einzige Feuchte, was bis dahin zu durchfahren ist, sind die grünbräunlichen Hinterlassenschaften der freilaufenden Kühe. An einer windgeschützten sonnigen Stelle hält admin zur Mittagspause. Wir sind allein mit grenzenloser Natur, ein paar Kühen und unseren Betas. Intensiver geht´s kaum.
Die Betas werden abgestellt, Rucksäcke abgeschnallt. Auf dem sonnigen Wiesenhang findet jeder ein geeignetes, gemütliches Sitzplätzchen für den Mittagssnack. admin hat sich heute Morgen im Dorfladen in Tende eine leckere Birne gekauft. Ach, wie das ausgeht, wisst ihr ja schon…
Als wir kurz darauf am Rifugio Don Barbera, einer bewirtschafteten Berghütte für Wanderer und sonstige Bergaktive, vorbeikommen, ruft der italienische Caffe Latte so laut nach uns, dass wir erneut zur Pause anhalten. Gedanken ans „Aussteigen“ machen sich bei dem ein oder anderen in dieser Atmosphäre breit. Nein, nicht ans Aussteigen aus unserer Alprunde, der Gedanke greift viel tiefer.
Abgelenkt von der traumhaften Umgebung verquasselt man sich leicht und vergisst die Zeit. Von der uns abgeneigten Seite des vor uns liegenden Bergrückens quellt eine Nebelwand herüber. Flugs machen sich die 10 Betanisti auf den Weg und nähern sich dem „Nebelschleier des Grauens“, und prompt sitzen wir fest. Weder die Karte noch das GPS-Gerät haben es verhindert. Bei fünf bis zehn Metern Sichtweite ist der kleine Abzweig, den wir suchen, schnell übersehen. Wir sind falsch abgebogen und müssen den steilen, felsigen Weg wieder hinunter fahren. Der nächste Versuch auf unserem Hindernisparcours endet ebenfalls in einer Sackgasse. Kurzzeitige Stimmungsschwankungen kommen auf. „Wären wir doch…“ oder „wir könnten ja…“, 10 Meinungen zu einem Thema. Die in grau getünchte Luft bildet zusammen mit dem felsigen Untergrund einen so schwachen Kontrast, dass die Orientierung zusätzlich erschwert wird und so sorgt der kaum erkennbare steile Abhang auf der einen Seite des Weges für ein mulmiges Gefühl bei dem ein oder anderen in der Runde. Ruhig bleiben, anhalten und jetzt mal in Ruhe die Wanderkarte und das GPS miteinander abgleichen. Nervös werden ist nicht, schließlich sind wir Luftlinie nur 10 bis 12 Kilometer von unserem Basislager entfernt, aber was heißt in den Bergen schon Luftlinie, wenn ein bis zwei Täler dazwischen liegen.
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