Sommer an der (damaligen) innerdeutschen Grenze. Da ich mich wähnte, den Grenzverlauf bestens zu kennen, hatte ich mich zu einer Grenzlandfahrt entschlossen. Mein damaliges Motorrad, eine Maico 450 GS, BJ 74.
Als Orientierungspunkte nutzte ich die weißen, oben mit den Landesfarben versehenen, westdeutschen Grenzpfähle. Die Ost-Grenzsicherungsanlagen (Metallzaun) folgten fast nie dem tatsächlichen Grenzverlauf, die Grenzpfosten West zeigten den tatsächlichen Grenzverlauf auf.
Als weitere Orientierungsmarken diente der Bewuchs. Auf westdeutscher Seite waren fast immer die landwirtschaftlichen Bereich bis zur Grenzlinie bestellt, z. B. gemäht. Der Wald war ausgeforstet, die Wege befahrbar und geräumt.
Anders auf der Ostseite, hier war meist nur Unterwuchs oder Kuselgelände vorhanden, jedoch nie höhere Sträucher oder Bäume und keine Wege.
Dadurch war eine Orientierung, hinsichtlich des Grenzverlaufs (fast immer) möglich.
Was aber noch schöner war, in diesem Bereich hielt sich fast niemand auf.
Ideales Gelände, um sich mal richtig abzureagieren!
Wenn man wusste, wo die Ordnungshüter immer standen, war alles O. K.
An dem Tag befuhr ich einen Grenzabschnitt den ich noch nicht kannte.
Ich erreichte einen Hügel, mit einer ca. 800 Meter langen Wiese bergauf. Grenzpfosten waren von unten mittig bis zur Spitze erkennbar. Meine Vermutung war, die Gemarkung verläuft über die Mitte (Spitze) in gleicher Richtung weiter. Die frisch gemähte Weise links zeigte mir - Westdeutschland.
Eine Besonderheit war hier, die Grenzbefestigung Ost verlief keine 50 Meter neben der tatsächlichen Grenze. Ostdeutsche Grenzsoldaten waren zu erkennen. An dieser Stelle waren die Grenzanlagen Ost noch nicht voll ausgebaut. Die letzten Lücken im Metallzaun wurden geschlossen. Krans und Tieflader waren auf der Ostseite zu sehen. Nur wenige Bausoldaten waren beim Arbeiten. Dafür ein Riesenaufgebot an uniformierten Bewachern.
Einige standen direkt an den westdeutschen Grenzpfosten, jedoch immer auf DDR-Gebiet.
Also eine Aufforderung an mich - da fährst du mal bis auf ein oder zwei Meter ran!
Mit Fullspeed an den Grenzpfählen hoch und alles auf dem Hinterrad.
Was ich dabei bemerkte, war einmalig. Durch das Motorengeräusch der 450er kamen alle Soldaten aus ihren Deckungen, aus dem Gras, aus Unterständen, aus Fahrerkabinen, aus Bekleidfahrzeugen quasi überall kamen Soldaten zum Vorschein. Alle beobachteten mein Treiben.
Auf halber Strecke noch mal zurück, da nicht alle ostdeutschen Grenzsoldaten so schnell waren um mich zu sehen. Also noch mal runter, mit Vollgas und kleinerem Gang zur Hügelspitze hoch. Die 450 machte mächtig Rabatz!
Oben mittig war noch ein Grenzpfahl zu erkennen, an dem drei DDR-Grenzsoldaten standen - irgendwie auf unserer Seite?
- mit Blick, durchs Doppelfernrohr (DF), zu mir.
Ihre Kalaschnikows hatten sie schussbereit noch vorne gerichtet, Riemen über der Schulter, DF in den Händen.
Mein Blick, fast „überheblich“, ging nur in Richtung Osten. Keinen Blick nach vorne, so fuhr ich nach oben.
Kurz vor der Spitze, es waren nur noch paar Meter bis dorthin, habe ich doch mal nach vorne geblickt.
Entsetzen bei mir, quer zu meiner Fahrtrichtung tat sich ein über zwei Meter breiter Graben auf.
Nach links war der Graben ewig lang, nach rechts endete er genau einen Meter vor dem Grenzpfahl.
Dort standen immer noch die drei DDR-Grenzer.
Ich hatte aber noch so viel Geschwindigkeit drauf, dass ich nicht rechtzeitig zum Stehen kommen konnte. Für einen Sprungansatz über den Graben war es zu spät.
Gedankenblitz: Einfach vorne, auf dem Meter, vorbei oder Sturz in den Graben.
Reaktion: Gas …und auf die DDR-Grenzsoldaten zu.
Der Schreck bei den DDR-Grenzsoldaten war zu erkennen, das DF gerade abgenommen und schon presche ich auf sie zu.
Die standen wie zu Salzsäulen erstarrt. Gerade dass sie noch den Oberkörper etwas nach hinten bewegten, ansonsten keine Reaktion. Der linke Grenzer ging doch noch einen Schritt zurück – mein Glück.
Ich sehe noch die weit aufgerissenen hellblauen Augen und die blonde Strähnen des ersten DDR-Grenzsoldaten vor mir. Ich glaube den würde ich heute noch erkennen, waren ja nur ein paar cm Abstand.
Natürlich Schreck auch bei mir – ich fahr die um – und tatsächlich spürte ich einen Schlag am rechten Knie und am rechten Ellenbogen. Geschockt und strauchelnd fuhr ich einfach weiter. :ohmy:
Nächster Adrenalinschub: Wo ist denn hier das abgemähte Gras nach dem Graben?
Verläuft die Grenze mit dem Graben nach links unten?
Nur noch Kuselgelände und Sträucher?
Als ich alles realisiert hatte, war ich über 300 Meter auf DDR-Gebiet. Die Grenze machte da wirklich eine 90° Biegung nach links, jedoch nicht aber der Metallzaun. Normal kein Problem, aber ich war ja von lauter DDR-Grenzern umgeben.
Reaktion: Runterschalten und Vollgas, durch Büsche und Kuselgelände – Richtung Westen.
Der Graben war kein Hindernis mehr, da ich mit Vollgas in Richtung Westen fuhr. Irrer Gedanke dabei - so muss sich ne „Republikflucht“ anfühlen.
Wieder im Westen, also auf gemähter Wiese, fahre ich den Graben bergab und treffe am Ende auf ein Fahrzeug vom Zoll. Die Zöllner hielten mich an und haben mich fragt: Ob ich wüsste, was ich da gerade getan habe?
Keine Reaktion bei mir, mir schlotterten Kinn und Knie, ich hatte fraglos einen Schock.
Als ich mich gefasst hatte, hörte ich von den Zöllnern - sie hatten mein Treiben mit Ihren Feldstechern beobachtet: Du hast einem DDR-Grenzsoldaten die Kalaschnikow von der Schulter gerissen und den Zweiten mit samt der Waffe umgefahren.
Meine offizielle Aussage wäre gewesen: Ich habe nur den Grenzpfosten gestreift, dadurch haben die „Bewaffneten Organe“ vor Schreck die Waffen fallen lassen bzw. sind vor Schreck rückwärts gestürzt.
Durch unsere Zoll-Beamten wurde nichts unternommen.
Irre, wenn die drüben mich als „Grenzverletzer“ erwischt hätten?
trebeta