Ein bisschen Off Topic, aber tagesaktuell. Um den Zusammenhang mit BETA gleich herzustellen: Schon im Dezember 1989 hatte ich Besuch von DDR-Trialmeister Jörg Stephan, der dann bereits im Januar 1990 mit einer Semi-Werks-ZERO 260 bei West-Indoortrials startete. Ich war damals noch ein kleiner, vom Werk unabhängiger Importeur. Die Aktion hat mich eine unvernünftige Stange Geld gekostet, aber nach meinen Erlebnissen hier unten war ich komplett schmerzfrei. Der Text unten war (m)ein Beitrag in unserer Regionalpresse zum 20sten Jahrestag. Krieg heut noch feuchte Augen......
D i e Nacht im November - mein Gedächtnisprotokoll
Meine Frau (Daniela) erhielt zum Wintersemester 1985 einen Studienplatz für Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin zugeteilt. Ein Jahr später folgte ich ihr als damaliger Freund und heutiger Ehemann an die gleiche Hochschule, um Wirtschaftswissenschaften und Publizistik zu studieren. Bis zu jener Nacht vom 08. auf den 09. November 1989 hatten wir ausreichend Gelegenheit, den besonderen und problematischen Status unserer Wahlheimat zu „erfahren“. Durch die große Entfernung unserer Geburtsstadt Heidelberg zur Zonengrenze und zu Berlin war uns die Allgegenwärtigkeit der Mauer mit strengen Grenzkontrollen und allen militärischen Nebenwirkungen, wie zum Beispiel ständig übenden Russenpanzern in Sichtweite der Transitstrecken, vorher kein Begriff. Durch den mehrjährigen Aufenthalt in der geteilten Stadt hatten wir das Glück, die unglaublichen Geschehnisse in dieser Nacht besser mitempfinden zu können als an der Glotze irgendwo weit im Westen der Republik. Geschichte wurde gemacht oder besser, sie ist passiert. Ich war dabei und habe Folgendes erlebt:
Mittwoch, 8. November 1989
19:00: Auf einer Pressekonferenz des Zentralkomitee der SED kündigt Sprecher Günter Schabowski Reisefreiheit für DDR-Bürger an.
20:00: Studentensport, ich spiele 90 Minuten Hallenhockey.
21:45: Daniela holt mich mit unserem einzigen Auto ab. Im Radio wird die Meldung kommentiert, ohne den Wortlaut zu wiederholen. Wir werden neugierig.
22:15: Bei Freunden im gleichen Haus sehen wir einen Live-Bericht vom Übergang Bornholmer Straße im Berliner Norden. Große Dinge werden vermutet, aber im Hintergrund passiert – nichts!
22:45: Nach der Dusche bin ich eigentlich bettfertig. Daniela beschließt zu Bett zu gehen. Ich entscheide anders und fahre mit dem Wagen zum Übergang Moritzplatz, direkt neben dem legendären „Checkpoint Charlie“.
23:10: Ich reihe mich ein in die Hundertschaft Erwartungsvoller. Nichts genaues weiß man nicht. Aber es fällt auf dass die Ost-Grenzer viel lockerer sind als sonst. Sie blödeln mit den Scheinwerfern. Einer bietet uns, bis vor zwei Stunden völlig undenkbar, die Einreise ohne Visum an, muß sein Angebot aber kurz darauf zurücknehmen
23:50: Ein Westberliner mit PKW reist aus, da sein Tagesvisum gleich abläuft. Wir stoppen ihn und wollen wissen, was los ist. Er berichtet von Tausenden von Fußgängern und kilometerlangen Trabbi-Schlangen vor der Ostseite der Grenze.
23:51: Wir können sie hören! Sie skandieren: „Wir wollen raus!“ in Endlosschleife.
Donnerstag, 9. November 1989
ca. 00:00: Der absolute Wahnsinn nimmt seinen Lauf. Die Grenzer rollen die Drahttore beiseite und eine Flut von Menschen ergießt sich von Ost nach West. Nach Momenten völliger Fassungslosigkeit liegen sich wildfremde Menschen weinend in der Armen. Dieser Tag beginnt mit vielen spontanen Emotionen und einer später nie mehr dagewesenen Ehrlichkeit ohne Kommerz und Politik. Anwohner gehen nach Hause und räumen ihre Vorratsschränke. Eine spontane Party beginnt.
00:30: Außer der Party ist rundum nichts los. Der Moritzplatz liegt in einem Druckerviertel ohne touristische Attraktionen. Ich spreche einfach ein Pärchen in meinem Alter an. Wir fahren gemeinsam mit meinem zweisitzigen Auto zum Kurfürstendamm.
00:45: Auf dem Ku-Damm herrscht noch Ruhe. Nur einige jugendliche Nachtschwärmer ziehen um die Häuser. Ich bekomme einen Parkplatz direkt vor dem Europa-Center. Natürlich will ich einen ausgeben. Westgeld haben meine Mitfahrer sowieso nicht dabei. Sie drucksen herum. Nein, keine Cola, kein Bier, keinen Schnaps, das gibt’s drüben alles auch. Ein Hamburger aus einem „amerikanischen Spezialitätenlokal“ soll es sein. Wir wackeln zu dem Laden mit dem großen „M“ und ordern drei Big-Mac. Während wir gerade die Kiefer weit öffnen, bricht rund um uns die Hölle los. Ein feiner Herr im Trenchcoat steigt bei Meckes auf die Theke und wirft eine fette Geldbörse drauf. Lokalrunde. Draußen wälzt sich eine Blechlawine aus Trabbis und Taxis die Flaniermeile rauf und wieder runter. Die Nachricht ist offenbar durch, die Begeisterung riesengroß.
01:15: Meine Gäste wollen einen Schaufensterbummel. Vor den Palästen der Premium-Automarken stehen die Leute in Achterreihen.
02:00: Mein Brieffreund aus Gelenau in Sachsen erlebt den Mauerfall am Fernsehgerät mit. Er kriegt das Zittern nicht aus seinen Knien.
02:15: Zurück zum Europa-Center. Schaulustige umlagern das Fenster eines Händlers für exotische Früchte.
02:30: Das öffentliche Telefonnetz bricht zusammen. Jeder DDR-Bürger mit 2 Groschen in der Tasche versucht, den Vetter in Sachsen anzurufen.
03:00: Spaßvögel schütteln Magnum-Schampusflaschen und halten sie dann in die geöffneten Fenster der Trabbis. Keinen juckt’s.
04:00: Zurück zum Moritzplatz. Die Party hat weiter an Schwung gewonnen. Ich beschließe, noch zu bleiben.
05:30: Ab nach Hause, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Ich wecke Daniela, die anfangs darüber nicht begeistert ist. Wir diskutieren die Vorgänge. Morgen und Nachmittag des Tages verlaufen eigentlich normal.
20:00: Ich bringe Daniela zum Schauplatz des Vorabends an den Moritzplatz. Kaum zu glauben: Die Party dort dauert noch immer an.
21:00: Wir fahren mit der U-Bahn zum Ku-Damm. Keine Autos auf der Straße, nur Leute. Und zwar bis zum Horizont. Vor dem Europa-Center haben DJ’s Boxen aufgestellt. Auf 2.000 Quadratmetern wird mitten in der Menge getanzt.
24:00: Der öffentliche Nahverkehr ist bereits kollabiert. Die U-Bahnhöfe um den Ku-Damm sind geschlossen worden. Zu viele Leute, zu gefährlich. Wir müssen 7 Kilometer nach Hause laufen. Aber das macht nun wirklich gar nichts.....
Berlin hat in dieser Nacht tief durchgeatmet. Der einengende Druck der Mauer und die häufig spürbare leichte Depression, alles weg in einem Tempo, das selbst unverbesserliche Optimisten überraschte. Ich selbst habe in dieser Nacht eine dauerhafte Grundimmunisierung gegen all die Nickeligkeiten zwischen Ost und West bekommen, über die sich heute andere aufregen dürfen. Wenn man das, was damals passierte, mit den möglichen realistischen Alternativen vergleicht, dann haben wir den Hauptgewinn gezogen. Denkt dran.
Frank